Wenn ein Elternteil stirbt ...

Wie der Tod eines nahen Angehörigen verarbeitet werden kann.

In den meisten Fällen ist man nicht dabei, wenn ein Elternteil stirbt und man wird über den Tod von Vater oder Mutter informiert. Von einem Arzt, vom Pflegepersonal, von einem Familienangehörigen. Ein SMS mit dem Inhalt „Vati ist verstorben“ und dann steht die Welt auf einmal still. Es öffnet sich eine Falltür und man fällt hinunter… bis man irgendwo angekommen ist, wo es finster ist, und endgültig. Irgendwann beginnen die Gedanken wieder zu rattern wie die Zeiger in einem verrückt gewordenen Uhrwerk. Bilder von gemeinsamen Erlebnissen, Gefühle – alles da – im Schnelldurchlauf. Und schon bald taucht die Frage auf, ob denn jetzt noch jemand da ist, den man immer anrufen kann, der einen irgendwie so ganz liebhat. Stille. 

Und diese Stille wird zum Begleiter für die nächste Zeit und die, immer zum falschen Zeitpunkt stattfindenden Anrufe von Vati oder Mutti fehlen. 

In den ersten Tagen muss man funktionieren. Schwarzes Kleid, Begräbnis, Verwandte. Dann wieder Alltag, der sinnlos erscheint. Ruhe tut gut und die Besinnung auf das echte Leben; das ewige Leben.

In den Alltag schummeln sich Bilder vom Verstorbenen, wo er jetzt ist und was er wohl tut. Schöne Bilder von einer schönen Welt ohne Schmerzen und frei von den Beschränkungen des Körpers und wie er es genießt, endlich wieder mobil zu sein. Purzelbäume schlagen, Motorrad fahren, durch die Lüfte sausen und sogar ein Glas Wein genießen, das alles ist möglich. Wie schön! Die Traurigkeit weicht einer wohlwollenden Haltung der Freude und der Gewissheit über die Ewigkeit, die sich wie ein seidener Schal um alles Schmerzhafte schmiegt. Alles ist gut, gespickt mit kleinen Sequenzen der Wehmut über das Vergangene und voller Hoffnung auf Kontakt und auf ein Wiedersehen auf einer anderen Ebene. 

Wer an das ewige Leben glaubt, ist im Vorteil. Die düstere Endgültigkeit des Todes verliert an Substanz und weicht einer zugleich zarten, aber auch kräftigen Fröhlichkeit, die unermüdlich aus der unendlichen Ewigkeit gespeist wird. Bekannt sind die 

 

5 Phasen der Trauerbewältigung nach Elisabeth Kübler-Ross, 

welche die schweizerisch-amerikanische Psychiaterin 1969 begründete und als universelles Modell darstellt. Sie folgen einander chronologisch und lauten wie folgt:

1. Verdrängung: Der Trauernde will die Tatsache des Verlustes nicht wahrhaben.

2. Wut: Der Tod wird anerkannt. Es kommt zu Schuldzuweisungen. Ärzte, Angehörige etc. werden für den Tod des geliebten Menschen verantwortlich gemacht. 

3. Verhandlung: Als „letzte Rettung“ wird versucht zu verhandeln, noch einen Tag, eine Stunde etc. mit dem Verstorbenen verbringen zu können. 

4. Verzweiflung: Die Einsicht über den Tod führt zu Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und nicht selten zu Depression. 

5. Akzeptanz: Die Situation wird anerkannt und es wird mit dem Verlust Frieden geschlossen. 

 

Ich ergänze dieses Modell um folgende Gedanken und Punkte:

1. Ob (alle) und in welcher Intensität die angeführten Punkte bei den Betroffenen auftreten, ist von verschieden Faktoren abhängig: 

1.1. Charakter und psychische Konstitution

Fast jeder Mensch neigt dazu, allzu Schmerzhaftes „zu parken“ und sich nicht oder zumindest nicht gleich in vollem Umfang damit auseinanderzusetzen. Das Konzept geht auf Sigmund Freud zurück und konstituiert eine Spaltung des Erlebens in bewusste und unbewusste Anteile. Für vielerlei Störungen kann eine stattfindende Verdrängung als Ursache angenommen werden. Gegen das Verdrängen von negativen Erfahrungen hingegen sprechen andere Störungen, wie z.B. die Posttraumatische Belastungsstörung, die gerade daraus resultiert, dass traumatisch Erlebtes eben nicht vergessen werden kann (Crombag & Merckelbach, 1997).

1.2. Einstellungen, Sicht auf die Welt und das Leben

Ein reifer Mensch übernimmt Verantwortung für das eigene Handeln und seine Reaktion auf Erlebtes. Diese Einstellung, aber vor allem das Handeln nach diesen Prinzipien erfordert sowohl intellektuelle als auch emotionale Reife. Je nach Bewusstseinsstand wird es zu unterschiedlichen Aktionen und Reaktionen kommen. Im besten Fall bedarf es keiner Anschuldigung und keinerlei Schuldzuweisungen über den Verlust des verstorbenen Menschen.

1.3. Glaube und Religiosität

Wer an das „Leben nach dem Tod“ glaubt, ist in vielen Fällen im Vorteil. Vielmehr wird das „endgültige Aus“ zu einem Neubeginn, der frei von körperlichen Schmerzen, Krankheiten und Beschwerden ist. Die Last des Körpers wird abgeschüttelt, die Seele befreit sich aus der Enge und geht über in einen Zustand der leichten Möglichkeiten allen Seins. So ist der Tod ein Übergang in einen anderen Zustand und der „verlorengegangene Mensch“ ist weiterhin… frei nach Michael Ende „Nichts geht verloren… alles wandelt sich“. 

Sicher sind meine Überlegungen zur Individualität des Erlebens von Trauer oder Verlust nahestehender Menschen nicht vollständig. Vieles entscheidet darüber, wie Trauernde den Verlust verarbeiten. Was aber mit Sicherheit über einen positiven Verlauf entscheidet, ist eine religiöse Einstellung und der Glaube an bestimmte transzendente Kräfte. 

Und selbst, wenn man sich nicht sicher ist, könnte man es in diesem Fall wie Blaise Pascal (1623 – 1662) halten in dem man zumindest darauf vertraut, dass man nichts verliert, wenn man an Gott glaubt. Im Gegenteil; schon der Erwartungswert des Gewinns durch den Glauben an einen Gott und das ewige Leben ist stets höher als der Erwartungswert im Falle des Unglaubens. 

Diese Herangehensweise hilft beim Verarbeiten des Todes eines Angehörigen, sicher aber auch bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Der eigene Tod, der auf jeden Fall gedanklich näher rückt, wenn Vater oder/ und Mutter gestorben sind, denn nun ist niemand mehr da, der vor einem selbst an der Reihe ist.